Der Umbau des Bahnhofs Bern – zwischen Moderne und Denkmalschutz

12. Juni 2025
Drohnenaufnahme vom Bahnhof Bern. (Eigenaufnahme)

Der Bahnhof Bern, ein zentraler Knotenpunkt des Schweizer Schienennetzes, steht vor einem umfangreichen Umbau. Dieser soll sowohl den modernen Verkehrsanforderungen gerecht werden als auch Denkmalschutz und Moderne vereinen. Die historische Bedeutung, städtebauliche Herausforderungen und ökologische Aspekte machen das Projekt komplex. Diese Reportage beleuchtet die Notwendigkeit des Umbaus, die Konflikte mit dem Denkmalschutz sowie städtebauliche und ökologische Fragen. Zudem werden die Rolle der Politik und Zukunftsvisionen für den Bahnhof Bern untersucht. 

Die historische Entwicklung des Bahnhofs Bern 

Um die Bedeutung des Bahnhofs Bern zu verstehen, lohnt sich ein Blick in seine Geschichte. Wie wir in unserer Recherche festgestellt haben, wurde der Bahnhof 1860 als Teil der Schweizerischen Centralbahn eröffnet. Werner Huber beschreibt in seinem Buch Bahnhof Bern 1860-2010, dass das damals noch bescheidene Gebäude schnell an Bedeutung gewann, besonders nachdem Bern 1888 zur Bundeshauptstadt ernannt wurde. Der Bahnhof wurde zum Symbol des Fortschritts und der nationalen Einheit. Seine Lage im Herzen der Stadt und seine Verbindung zu den wichtigsten Verkehrsadern der Schweiz machten ihn zu einem zentralen Knotenpunkt. 

In den folgenden Jahrzehnten wurde der Bahnhof mehrfach umgebaut und erweitert, um den wachsenden Anforderungen des Verkehrs gerecht zu werden. Bernhard Giger betont in seinem Buch Ankommen in Bern, dass der Bahnhof nicht nur ein Verkehrsknotenpunkt, sondern auch ein Ort der Begegnung war.

«Der Bahnhof war immer mehr als nur ein Ort des Transits. Er war ein Spiegel der Gesellschaft, ein Ort, an dem sich Stadt und Land trafen.» schreibt Giger.

Diese historische Bedeutung spiegelt sich auch in der Architektur wider, die über die Jahrzehnte immer wieder angepasst wurde, um den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden. 

Ein Meilenstein in der Geschichte des Bahnhofs war die Eröffnung des neuen Bahnhofgebäudes im Jahr 1901. Dieses Gebäude, das im Stil des Historismus errichtet wurde, prägt bis heute das Bild des Bahnhofs Bern. Doch bereits in den 1920er Jahren zeigte sich, dass auch dieses Gebäude den Anforderungen des modernen Verkehrs nicht mehr gerecht wurde. Es folgten weitere Umbauten und Erweiterungen, die jedoch immer wieder an die Grenzen des Machbaren stiessen. 

Doch während der Bahnhof selbst nicht denkmalgeschützt ist, sind es die umliegenden Strukturen, die den Umbau zu einer Herausforderung machen. Die Reste der Stadtmauer, der Hirschengraben und die umliegenden Gebäude stehen unter Schutz. Diese historischen Elemente prägen das Stadtbild und sind ein wichtiger Teil der Identität Berns. Der Hirschengraben, ist ein besonders sensibles Thema. Wie Raphael Sollberger in seinem Interview erklärt, wurde der geplante Veloständer am Hirschengraben vom Heimatschutz Bern abgelehnt, da die historischen Elemente im Untergrund nicht zerstört werden sollen. «Beim Bau des Hirschengrabens soll nichts Historisches verloren gehen», betont Sollberger, ein Architekturhistoriker des Heimatschutzes Bern. Doch solche Konflikte zeigen, wie schwierig es ist, moderne Infrastruktur in einem historischen Umfeld zu realisieren. 

Aus unserer Sicht ist die historische Entwicklung des Bahnhofs Bern ein Spiegelbild des Spagats zwischen Fortschritt und Bewahrung. Die Herausforderungen, die sich aus dieser Geschichte ergeben, machen den aktuellen Umbau zu einer komplexen, aber notwendigen Aufgabe. 

Die Notwendigkeit des Umbaus 

Die Frage, ob der Umbau des Bahnhofs Bern notwendig ist, lässt sich eindeutig bejahen. Wie Reto Bieli, der Leiter der Denkmalschutzabteilung der SBB, in seinem Interview betont, ist der Bahnhof ein zentraler Ort der Mobilität. «Bauen an sich ist kein ökologisches Interesse, sondern dient der Mobilität der Menschen», sagt Reto Bieli. Der Bahnhof Bern ist heute ein Nadelöhr, das den stetig wachsenden Pendlerverkehr kaum noch bewältigen kann. Die engen Platzverhältnisse, die durch die historischen Strukturen noch verschärft werden, machen eine Erweiterung unumgänglich. Raphael Sollberger weist jedoch darauf hin, dass der Bahnhof in seiner jetzigen Form «fehl am Platz» sei.

«In Bern ist der Bahnhof so eingezwängt, dass auf viel zu wenig Platz gebaut wurde», sagt Sollberger.

Diese Enge führt nicht nur zu logistischen Problemen, sondern auch zu Konflikten mit dem Denkmalschutz. Der geplante Veloständer am Hirschengraben, der vom Heimatschutz Bern abgelehnt wurde, ist ein Beispiel dafür, wie schwierig es ist, moderne Infrastruktur in einem historischen Umfeld zu realisieren. 

Pascale Akkerman, eine Landschaftsarchitektin, betont, dass der Umbau nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch eine Chance sei. «Der Umbau ist nötig, aber man muss auch auf viele andere Aspekte Rücksicht nehmen», sagt sie. Dazu gehören nicht nur die verkehrstechnischen Anforderungen, sondern auch die Bedürfnisse der Nutzer und die ökologischen Aspekte. «Die Freiräume sind wichtig für den Bahnhof, da sich hier verschiedene Personengruppen treffen», sagt Akkerman. Diese Freiräume müssen jedoch sorgfältig geplant werden, um sowohl den Bedürfnissen der Nutzer als auch den Anforderungen des Denkmalschutzes gerecht zu werden. 

Denkmalschutz vs. Modernisierung 

Der Konflikt zwischen Denkmalschutz und Modernisierung ist ein zentrales Thema des Bahnhofumbaus. Pascale Akkerman betont, dass denkmalgeschützte Objekte «die Geschichte von Bern» zeigen und daher unbedingt erhalten werden müssen. Doch wie lässt sich dies mit den Anforderungen eines modernen Bahnhofs vereinbaren? 

Reto Bieli plädiert für eine «holistische Sichtweise». «Der Bahnhof muss sich an den Denkmälern orientieren und anpassen», sagt er. Dies bedeutet, dass die historischen Strukturen nicht einfach ignoriert oder abgerissen werden dürfen, sondern in die Planung integriert werden müssen. Eine mögliche Lösung, wie Raphael Sollberger vorschlägt, wäre eine «Glasvitrine», um die unterirdisch geschützten Objekte zu präsentieren. So könnten die historischen Elemente sichtbar gemacht werden, ohne den Umbau zu behindern. 

Doch nicht alle sind mit diesem Ansatz einverstanden. Der Heimatschutz Bern kritisiert, dass die SBB als Eigentümerin der umliegenden Gebäude vor allem auf wirtschaftliche Interessen ausgerichtet sei. «Die SBB will mit diesen Gebäuden Umsatz machen und passt sie deshalb nur zu ihrem Vorteil an», sagt Sollberger. Dies führe zu Konflikten mit den Zielen des Denkmalschutzes. 

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die historischen Strukturen oft nicht ausreichend berücksichtigt werden. Pascale Akkerman weist darauf hin, dass bei vielen Projekten in Bern die Gestaltung oder die Historie vernachlässigt werde. «Die meisten Projekte sind technisch orientiert, und die Gestaltung oder auch die Historie wird vernachlässigt», sagt sie. Dies sei ein Problem, das auch beim Bahnhofsumbau beachtet werden müsse. 

Städtebauliche und ökologische Aspekte 

Der Umbau des Bahnhofs Bern ist nicht nur eine verkehrstechnische, sondern auch eine städtebauliche und ökologische Herausforderung. Pascale Akkerman betont die Bedeutung von Freiräumen. «Die Freiräume sind wichtig für den Bahnhof, da sich hier verschiedene Personengruppen treffen», sagt sie. Diese Freiräume müssen jedoch sorgfältig geplant werden, um sowohl den Bedürfnissen der Nutzer als auch den Anforderungen des Denkmalschutzes gerecht zu werden. 

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Klimapolitik. Akkerman weist darauf hin, dass bei der Umgestaltung des Bahnhofs auch ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen. «Wenn's um Begrünungen geht, denken wir nicht nur an Bäume, sondern auch daran, den Asphalt durch Kies zu ersetzen», sagt sie. Dies könnte nicht nur das Mikroklima verbessern, sondern auch die Aufenthaltsqualität am Bahnhof erhöhen. 

Raphael Sollberger betont zudem, dass der Autoverkehr vor den Bahnhof verlagert werden sollte. «Der Autoverkehr sollte vor den Bahnhof verlagert werden, da dieser zu noch mehr Platzmangel führt», sagt er. Dies würde nicht nur den Platz am Bahnhof entlasten, sondern auch den Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr fördern. 

Die Rolle der Politik und öffentlicher Organisationen 

Der Umbau des Bahnhofs Bern ist ein politisch hochsensibles Projekt. Wie Reto Bieli betont, entscheidet letztlich die Politik über die Bilanz.

«Die Politik muss abwägen zwischen den Interessen des Denkmalschutzes, der Wirtschaft und der Bevölkerung.»

Dies erfordert einen «abwägenden Geist», da es fast nie möglich sei, 100%ige Einigkeit zu erzielen. 

Raphael Sollberger kritisiert jedoch, dass die Politik oft zu kurzfristig denke. «Mit Einzelplanungen kommt man nicht weiter», sagt er. Stattdessen fordert er eine «gute, mit mehreren Organisationen durchgeführte Gesamtplanung», um den Bahnhofsumbau so nachhaltig und effektiv wie möglich zu gestalten. 

Die Rolle des Heimatschutzes Bern ist dabei nicht zu unterschätzen. Wie Sollberger erklärt, kämpft der Heimatschutz sehr gegen die Zentralität des Verkehrs und möchte, dass die SBB die Bevölkerung ins Zentrum bringt. «Der Heimatschutz möchte, dass der Umbau gut geplant wird, damit man jahrzehntelang davon profitieren kann», sagt er. 

Zukünftige Entwicklungen und Visionen 

Trotz aller Herausforderungen bietet der Umbau des Bahnhofs Bern auch eine Chance, einen zukunftsweisenden Verkehrsknotenpunkt zu schaffen. Reto Bieli betont, dass der Bahnhof «den Pendelzeiten gerecht» werden müsse. Dies bedeutet, dass die Infrastruktur so geplant werden muss, dass sie den Anforderungen des modernen Verkehrs gerecht wird, ohne die historischen Strukturen zu gefährden. 

Eine Vision für die Zukunft könnte ein Bahnhof sein, der nicht nur ein Ort des Transits, sondern auch ein Ort der Begegnung und des kulturellen Austauschs ist. Wie Bernhard Giger in Ankommen in Bern schreibt, war der Bahnhof immer schon mehr als nur ein Verkehrsknotenpunkt. «Er war ein Spiegel der Gesellschaft», sagt Giger. Diese Rolle könnte der Bahnhof auch in Zukunft spielen – wenn es gelingt, die Balance zwischen Moderne und Denkmalschutz zu finden. 

Eine Investition in die Zukunft? 

Ist der Umbau des Bahnhofs Bern eine gute Investition? Die Antwort hängt davon ab, wie die verschiedenen Interessen ausbalanciert werden. Der Bahnhof ist ein zentraler Ort der Mobilität, der dringend modernisiert werden muss. Doch gleichzeitig ist er auch ein Ort mit grosser historischer Bedeutung, der sorgfältig behandelt werden muss. 

Wie Reto Bieli betont, ist der «abwägende Geist» entscheidend. Es geht nicht darum, eine Seite zu bevorzugen, sondern eine Lösung zu finden, die sowohl den Anforderungen der Moderne als auch dem Denkmalschutz gerecht wird. Wenn dies gelingt, könnte der Bahnhof Bern zu einem Vorbild für andere Städte werden – ein Ort, der die Vergangenheit respektiert und gleichzeitig in die Zukunft blickt. 

Abschliessend sind wir der Meinung, dass der Umbau des Bahnhofs Bern eine Investition in die Zukunft ist - aber nur, wenn er mit Weitsicht und Respekt vor der Vergangenheit umgesetzt wird. Es liegt an allen Beteiligten, sich den Herausforderungen zu stellen und gemeinsam eine Lösung zu finden, die sowohl den Bedürfnissen der heutigen Gesellschaft als auch der historischen Verantwortung gerecht wird. Wenn dies gelingt, kann der Bahnhof Bern zu einem Vorbild für andere Städte werden, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. 

Eine Reportage von Amanuel Weldehaymanot und Cyril Aeberhard